Haben wir keine anderen Probleme in Bern?

Haben wir keine anderen Probleme in Bern?

Das Parlament verlangt eine Anpassung des Strassenverkehrsgesetzes, um die Einführung von Tempo 30 auf wichtigen Strassen innerorts zu erschweren.

Es ist schon anmassend, dass National- und Ständeräte von Bern aus meinen, jede einzelne der rund 2100 Gemeinden in der Schweiz nicht nur im Detail kennen, sondern über die Begebenheiten vor Ort sogar noch besser Bescheid wissen, als die Gemeinden selbst.

Wenn ich mir die Argumentationen anhöre, warum es diese Gesetzesänderung angeblich braucht, wird mir schnell klar, dass es sich überwiegend um Standard-Phrasen handelt, die nachgeplappert und undifferenziert weiterverbreitet werden. Die Herausforderungen der Gemeinden mit dem Verkehr vor Ort kennt man – wenn überhaupt - nur vom Papier, eine konkrete Vorstellung ist jedoch nicht vorhanden. Ja, es gibt Argumente für und gegen Tempo 30, diese sind jedoch situativ vor Ort zu beurteilen und können nicht pauschal über ein heterogenes Land wie die Schweiz gestülpt werden.

Die Verkehrsprobleme in den Gemeinden haben in Bern keine Priorität. Insbesondere für Durchgangsverkehr, der sich bspw. von Autobahnen in die Dörfer verlagert, interessiert man sich erst, wenn ausreichend öffentlicher Druck aufgebaut wird. Ob bei Tempo 30 die Autofahrer immer noch lieber durch die Dörfer fahren, anstatt die Autobahn zu benutzen? Ich bezweifle es. Doch dieser Aspekt spielt in Bern bspw. keine Rolle.

Ich möchte zudem daran erinnern, dass sich der Verkehr seit den 80er Jahren verdoppelt hat. Die Strassen haben sich aber bekanntlich nicht verdoppelt. Das bedeutet, dass sich immer mehr Verkehrsteilnehmer die gleiche Infrastruktur teilen. Unter dieser Ausgangslage stur am «Tempo aus Prinzip» festzuhalten, ist nicht nur realitätsfremd, sondern fahrlässig.

Für mich ist es komplett unverständlich, dass sich nach dem Kantonsrat jetzt auch noch National- und Ständerat in die Angelegenheiten der Gemeinden einmischen und damit wichtige Massnahmen zur Verbesserung der Verkehrssicherheit aktiv verhindern. Wir haben auf Kantons- und Bundesebene viele wichtige Geschäfte, um die es sich zu kümmern gilt. Wie schnell man auf der «Dörfhäldelistrasse» fahren darf, gehört definitiv nicht dazu. Überlasst das bitte den Gemeinden.

Neue Spartageskarte Gemeinde: Der Zug fährt leer ab

Neue Spartageskarte Gemeinde: Der Zug fährt leer ab

Das beliebte Tages-GA der Gemeinde soll ab 2024 durch ein neues Produkt ersetzt werden. In der Ankündigung hiess es, dass ein einfaches, verständliches und transparentes Angebot geschaffen werden konnte, welches zusammen mit dem Schweizerischen Gemeindeverband und dem Schweizerischen Städteverband ausgearbeitet wurde. Seit Juni können sich Städte und Gemeinden für dieses neue Angebot anmelden und man stellt überrascht fest: Viele machen bei der Nachfolge-Lösung überhaupt nicht mehr mit. Es ist von «Rückschritt» die Rede sowie von einer «zu aufwändigen Verkaufsabwicklung». Im Sarganserland fällt das Angebot komplett durch. Aber auch andere Städte und Gemeinden aus der ganzen Schweiz wie Zollikon (ZH), Horgen (ZH), Breitenbach (SO), Schönenbuch (BL), Allschwil (BL) oder Rickenbach (TG) lehnen das neue Produkt ab.

Die Gemeinden kritisieren den hohen administrativen Aufwand sowie dass es nur noch ein schweizweites Kontingent gibt. «Der Vorteil, welcher die Gemeinde mit den Tageskarten SBB bis anhin für ihre Einwohnerinnen und Einwohner geschaffen hat, fällt weg.», argumentiert der Gemeinderat Sargans. Die Preise, vor allem für Personen ohne Halbtax, seien zudem nicht attraktiv. In der Tat: Die neue Lösung verteuert sich je nach Bezugstermin um gut 100%. 

Weiter hört man, es sei nicht Sache der Gemeinden, Aufgaben der SBB zu übernehmen, während diese aus Effizienzgründen Schalterschliessungen vornehme.

Aufgrund dieser Voten haben wir im Sarganserland sogar ein überparteiliches Komitee gebildet, welches die Rückkehr zum alten Regime fordert. (www.komitee.ch)

Alliance Swiss Pass hat bereits angekündigt, dass das neue Modell selbstverständlich einer Prüfung unterzogen werde. «Nach der Einführung werden die Beteiligten zu gegebener Zeit ein Fazit ziehen und wenn nötig allfällige Anpassungen vornehmen.», heisst es in einer Berichterstattung von SRF. (Günstige ÖV-Billette - Neue Spartageskarte fällt in Gemeinden wiederholt durch - News - SRF) Aus meiner Sicht sollte das Vorhaben jedoch bereits vor der Einführung nochmals kritisch hinterfragt werden. Das neue Angebot stellt eine Verschlechterung sowohl für die Bevölkerung als auch für die öffentlichen Verwaltungen dar. Es ist teuer und kompliziert. Gerade bei den aktuellen Anstrengungen im Kampf gegen den Klimawandel kann es nicht sein, dass der öffentliche Verkehr immer unattraktiver wird. Das Gegenteil muss der Fall sein: Es braucht günstige, einfache und gute Angebote, damit die Menschen den öV lieber nutzen als das Auto.

Reizthema: Tempolimit

Reizthema: Tempolimit

Gleich zu Beginn dieses Beitrages möchte ich eine Triggerwarnung anbringen: Im nachfolgenden Artikel geht es um die Geschwindigkeitsbegrenzung auf den Strassen. Dieser Text kann potenziell verstörende Passagen über «langsames Autofahren» enthalten und ist deshalb nicht für alle Leserinnen und Leser geeignet. Weiterlesen auf eigenes Risiko.

Diskussionen über Tempo 30 auf Kantons- und Gemeindestrassen oder Tempo 80 auf Autobahnen sorgen für rote Köpfe. Die Angst vor dem «langsamen Fahren» ist teilweise so gross, dass man sich gar rigoros auch gegen die sinnvollen Temporeduktionen, bspw. entlang von Schulwegen, an verkehrsüberlasteten Stellen, zur Lärmreduktion, zur Erhöhung der Sicherheit oder zur Verhinderung von Staus engagiert.

Aber was ist denn überhaupt das Problem? Hierzu ein kleiner Exkurs in die Geschichte der Tempolimits: Das erste Tempolimit in der Schweiz beschlossen die Kantone bereits 1904. Damals galt als Höchstgeschwindigkeit innerorts 10 km/h und ausserorts 30 hm/h. Anschliessend wurden diese Begrenzungen bekanntlich stetig erhöht. 1983 wurde die Höchstgeschwindigkeit auf innerorts 50 km/h festgelegt, welche bis heute gilt. Alle, welche die Fahrprüfung ohne Schummeln bestanden haben, wissen aber auch: Unabhängig vom geltenden Tempolimit muss immer den Verhältnissen angepasst gefahren werden. Eine 50er Tafel am Strassenrand ist somit noch lange keine Garantie, dass man auch tatsächlich 50km/h fahren kann.

Seit 1983 hat sich die Anzahl Autos verdoppelt. So manche Strasse, welche vor 40 Jahren noch kaum befahren war, ist heute an der Grenze ihrer Kapazität und bringt damit auch viele Anwohnerinnen und Anwohner an ihre Grenzen.

Um die Menschen vor Lärm sowie vor Unfällen zu schützen, die Lebensqualität im Ort zu erhalten und auch um Staus zu verhindern, ist es notwendig, an gewissen Stellen die Situation neu zu beurteilen und die Geschwindigkeit in Frage zu stellen. Es muss unbedingt möglich sein, bei Bedarf Temposenkungen vornehmen zu können und zwar ohne jahrelangen, kostenintensiven, bürokratischen Aufwand.

Was ist mit Rettungskräften und dem öffentlichen Verkehr? Diese sind natürlich darauf angewiesen, innert kurzer Zeit am Ziel anzukommen, niemand bestreitet das. Aber auch hier gilt es zu beachten: «Schneller fahren» bedeutet nicht automatisch «schneller ankommen». Gerade im Rettungseinsatz und im öffentlichen Verkehr zählt nicht nur das Tempo, sondern auch die Sicherheit. Denn je höher das Tempo, umso höher das Unfallrisiko und umso schwerer der Unfall. Wer einen Unfall baut, kommt überhaupt nicht am Ziel an. Zusätzlich können mit gezielten Temporeduktionen auch Staus verhindert werden. Dass man theoretisch schnell fahren dürfte, nützt nämlich gar niemandem etwas, wenn man im Stau steht. Am schnellsten und am sichersten kommt man also ohne Unfall und ohne Stau ans Ziel.

Bares Geld sparen kann die öffentliche Hand zudem durch Temporeduktionen im Bereich Lärmschutz und Strassensanierung. Denn eine Temporeduktion kostet wenig Geld und verringert nicht nur den Lärm, sondern auch die Abnutzung der Strasse. Flüsterbeläge, grossflächige Strassensanierungen und Lärmschutzmassnahmen an Gebäuden sind im Vergleich dazu extrem teuer.

Bei der gezielten Temporeduktion haben wir also folgende Vorteile: Sie erhöht die Sicherheit, sie steigert die Lebensqualität, sie ist die beste Lärmschutzmassnahme und schont nebenbei noch das Portemonnaie der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Demgegenüber steht ein einziger Nachteil: Dass man unter Umständen wenige Minuten länger braucht, um ans Ziel zu kommen.

Ich appeliere also daran, beim Thema «Tempolimit» künftig wieder die Vernunft anstatt die Emotionen walten zu lassen.  

13 Milliarden für weniger Stau

13 Milliarden für weniger Stau

13.1 Milliarden sollen zwischen 2024 bis 2027 ins Strassennetz investiert werden, davon 8.8 Milliarden in den Unterhalt und 4.3 Milliarden in den Ausbau. So wird es vom Bundesrat beim Parlament beantragt. «Ohne Erweiterungen werden im Jahr 2040 fehlende Kapazitäten auf rund 453 Kilometern des Nationalstrassennetzes regelmässig zu Staus führen.», heisst es.

Dass der zunehmende Verkehr immer mehr zu einer Belastung wird, ist ein Fakt, den man nicht ignorieren kann. Entweder steht man im Stau oder neben dem Stau - beides nervt. Die Blechlawinen tragen somit regelmässig dazu bei, dass die Lebensqualität der Menschen beeinträchtigt wird.

Dass etwas getan werden muss – und zwar nicht nur auf Bundesebene -  ist klar. Dabei wird man jedoch nicht darum herum kommen, neu zu denken. Der Grossteil der Autobahnen wurde zwischen 1965 und 1975 gebaut, Kantons- und Gemeindestrassen sind wohl tendentiell eher noch älter. Die Verkehrsführung entsprach den damaligen Begebenheiten, aber nicht mehr den heutigen. So manch ein Autobahnanschluss ist heute nicht mehr an der sinnvollsten Stelle, so manch eine Gemeindestrasse würde man heute anders führen.

Damit es wirklich möglich ist, für die investierten Milliardenbeträge eine Verkehrssituation zu schaffen, in der es keine Staus mehr gibt und gleichzeitig die Bevölkerung sowie die Umwelt von den Blechlawinen und deren Emissionen entlastet wird, muss der Mut da sein, Bestehendes zu hinterfragen und zu verändern. Zudem kann das Nationalstrassennetz nicht allein betrachtet werden, es ist in Abhängigkeit zu den Kantons- und Gemeindestrassen zu optimieren, damit die Anschlüsse funktionieren und sich der Verkehr nicht von der Autobahn in die Dörfer verlagert. Einer der wichtigsten Stakeholder ist der Öffentliche Verkehr (ÖV). Dieser muss zwingend mitberücksichtigt werden, damit sich öffentliche und private Verkehrsmittel sinnvoll ergänzen. Im Optimalfall ist die Situation natürlich so gestaltet, dass gänzlich auf private Verkehrsmittel verzichtet werden kann. Was aber aktuell passiert, nämlich dass Nationalstrassen ausgebaut werden sollen und gleichzeitig der ÖV teurer wird, ist eine denkbar schlechte Kombination.

Wir brauchen ein Verkehrssystem, das sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Dazu gehören nicht nur (stau)freie Strassen für den motorisierten Verkehr, sondern auch sichere Wege für Velofahrer und Fussgänger, die Reduktion von Emissionen sowie einen sehr gut ausgebauten, attraktiven ÖV. Ein Verkehrssystem 2023 eben und nicht 1965.